Amadé

V. Auf Freiers Füßen

Soviel hatte Amadé in der Kirche nämlich verstanden, Gott war in der Welt zugegen und handelte in ihr durch seinen Geist. Er selbst hatte keinen Körper, so wenig wie Jesus nach seiner Himmelfahrt. Dafür ging jedoch der heilige Geist von ihnen aus und über die Erde, die Menschen zu sammeln, zu lehren, zu trösten und aller Kreatur die Befreiung aus den Fängen Satans und des Todes zu bringen. Darin glich er dem Wind in der Welt, der überall und zu gleicher Zeit bläst, auf jedem Kontinent und über jedes Meer, durch Berge und Täler, in der nahen Hecke des Pfarrgartens und im fernsten Wald.

Nun wähnte sich der Mäuserich seit den Erlebnissen seiner Wanderschaft von ihm geführt, beschützt, in die Hut genommen – und er war überzeugt, der Geist habe ihm in Herrn Sophokles Swinegel einen väterlichen Freund geschenkt, der ihn ungewollt seiner künftigen Frau zugeführt hatte.

Darum beschloss er, alsbald die Gunst der Eltern Dorothées zu erlangen, damit, sollte er demnächst um ihre Hand anhalten, er nicht von den Souris des Champs zurückgewiesen werde. Aber mehr noch hoffte er, die Zuneigung des Mäusemädchens zu erlangen, denn natürlich hing alles und jedes, sein ganzes Glück und Geschick, sein Wohl und Wehe von ihr und ihrer Liebe zu ihm ab.

Während nun die Gesellschaft um die Tafel saß, sich lebhaft unterhielt und dabei ausgiebig frühstückte, wollte sich allerdings keine gescheite Idee einstellen.

Er war deswegen nicht böse, als Sophokles sich unvermutet verabschiedete, indem er sagte: „Liebe Familie Souris des Champs, ich danke Ihnen herzlich für Ihre ausgewiesene Gastfreundschaft. Aber mein kleiner Freund und ich müssen wieder aufbrechen. Er hatte mich gebeten, ihm einiges vom Umland der Stadt zu zeigen, auf diesem Weg trafen wir vorhin Fräulein Dorothée. Doch ich möchte weiter, Herrn Mulot meine Zusage zu erfüllen, darum entschuldigen Sie uns bitte für heute.“ Er erhob sich, reichte den Eheleuten die Hand, schüttelte sie kurz und kräftig, wandte sich ab und verließ die Tafel.

Amadé stand ebenfalls auf, machte eine artige Verbeugung vor den Eltern – seine Augen schielten dabei jedoch unverwandt nach dem jungen Fräulein – und sagte mit belegter Stimme: „Merci beaucoup für die gesellige Zeit und das gute Frühstück. Wie Herr Swinegel schon bemerkte, muss auch ich mich leider empfehlen. Au revoir und – jedenfalls bin ich so kühn, dies zu hoffen, à bientôt.“ – Bei den letzten Worten griff er nach der Hand der Hausherrin, hauchte ihr die Andeutung eines Kusses darauf, nickte den übrigen Familienmitgliedern zu, drehte sich zur Tür und folgte dem Igel.

„Ach, wie hübsch sie doch ist, wie glockenhell und wohlklingend ihre Stimme, wie fein gezeichnet, glatt und rein ihr Fell, wie strahlend ihre dunklen Augensterne. Wie keck sich ihr Näschen in die Welt hebt, wie anmutig ihre Gestalt ist, wenn man sie anschaut, wie leicht, ja fast engelgleich ihr Schritt und wie geschmeidig ihre Bewegungen.“ Amadé war ganz verzückt, verzaubert, wie benommen. Er hatte unzählige Schmetterlinge im Bauch und schwebte auf Wolke Sieben.

Fragte man ihn später, er konnte sich nicht daran erinnern, wie er von jenem Rundgang heimgekommen war, aber es war sicher nur mit Hilfe seines Freundes geglückt. Allein wäre er hoffnungslos verloren gewesen, hätte sich total verirrt und es wahrscheinlich nicht einmal gemerkt. Von dem, was er auf dem Weg durch die Gefilde des Stadtrands alles gesehen hatte, behielt sein Gedächtnis nur das eine, das liebliche Bild des Mäusemädchens.

Das heftige Fieber des Verliebtseins ließ nach, während Amadé den folgenden Tag verschlief. Es kehrte die gewohnte Routine zurück mit einer Ausnahme. Immer grübelte der Mäuserich darüber nach, auf unverfängliche Art und Weise Dorothée wiederzutreffen. Er wusste ja nicht, dass es einem anderen Herzen ähnlich ging. Auch Dorothée suchte fast ständig nach einer Möglichkeit, den bewunderten Mäuserich wiederzusehen.

Die Gelegenheit kam mit dem Mittsommerfest, dem bedeutsamen Wendepunkt im Lebens- und Arbeitsrhythmus von Flora und Fauna. Die kürzer werdenden Tage signalisierten vielen Pflanzen, bald ihre Früchte reifen zu lassen, für die Tiere aber hieß es: „Wintervorräte anlegen!“

Die einen bauten Vorratskammern und Futterverstecke, die gefüllt werden mussten, die anderen – meist Winterschläfer – fraßen sich dicke Fettpolster an. Jeder hatte jetzt für sich selbst zu schaffen und zu sorgen, und dadurch war die schöne Zeit des Frühsommers mit seinen Geselligkeiten vorüber.

Amadé wollte der Familie Souris des Champs einiges aus seiner reichen Vorratskammer zukommen lassen. Auf dem Kindergartengelände in der Nach-barschaft hatte er zum Glück das Plastikmodell eines Unimogs gefunden, der unter der Fahrerkabine keinen Boden besaß, so konnte er darin stehen und den Wagen schieben. Auf die Ladefläche packte er Mandeln und Nüsse, Getreideähren und Keksstücke und bugsierte ihn in der Nacht vor dem Fest zur Höhle der Familie.

Wie groß waren da Überraschung, Jubel und Freude, als Amadé die unerwartete Gabe brachte! Die Kekse kamen auf die Festtafel, das übrige bildete den Grundstock des Winterdepots. In Dorothées Augen wurde er zum ritterhaften Helden. Sie wünschte sich inständig, von ihm umworben und später geheiratet zu werden. Doch wie sollte sie ihm das mitteilen? Konnte sie ihm für das großzügige Geschenk an die Familie etwas wiederschenken, das eine solche Botschaft enthielt?


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