Amadé

VI. Verlobung und Hochzeit

Aus den Märchen, die Dorothées Großmutter früher erzählt hatte, wusste das Mädchen, dass es einst Zeiten gab, in denen die Fräuleins eine Rose, ein Tüchlein oder einen ihrer Handschuhe zu Füßen des erwählten Ritters fallen ließen, um ihn damit zur Werbung aufzufordern. Aber verstände es „ihr“ Amadé recht, wenn sie es diesen Jungfrauen gleich täte? War es nicht viel besser, ihm zusammen mit herzlichen Dankesworten für die schmackhafte Wagenladung ein Ringlein zu reichen? Die Symbolik eines Rings konnte doch niemand missdeuten!

Gedacht, getan. Sie hatte im letzten Herbst auf dem Acker eine metallene Öse gefunden, die wie Gold glänzte und sich also hervorragend für solch ein Geschenk eignete. Schnell schlug sie das Ringlein in ein buntes Stück Geschenkpapier ein, band darum ein langes, schmales, grünes Binsenblatt zur Schleife und übergab das Päckchen an Amadé mit den Worten: „Meine lieben Eltern und ich danken Euch herzlich für Eure großzügige Gabe zum Mittsommerfest, Monsieur Mulot. Nehmt dies Geschenk entgegen als eine Anerkennung Eurer Ritterlichkeit; ich selbst habe den Inhalt für Euch erkoren. Mag er Euch ein beredtes Zeichen sein.“

Als Amadé das Präsent zu Hause vornahm, um es zu öffnen, pochte ihm das Herz heftig und wild in der Brust, zuerst in banger Aufregung, dann jedoch vor Jubel und schierer Freude. Denn nun wusste er, dass seine angehimmelte Dorothée für ihn Zuneigung, wenn nicht gar Liebe, empfand, sonst wäre kein goldener Ring in dem Päckchen gewesen. Er machte sich also nicht vergebliche Hoffnung, sie einmal als seine Braut nach Hause zu führen zu dürfen.

In den folgenden Wochen war er deshalb recht häufig zu Gast bei der Familie Souris des Champs; und immer galt seine ganz besondere Aufmerksamkeit dem süßen Fräulein Dorothée. Wie dann Ende September der Sommer in den Herbst überging, genauer gesagt zum Erntedankfest, dem Jahrestag seiner Ankunft und des Einzugs in das Kirchgebäude, wagte es der junge Bursche, bei den Eltern um die Hand des Mädchens anzuhalten, so, wie die beiden es zuvor miteinander abgesprochen hatten.

Der angehende Schwiegervater willigte nur zu gern in die Verlobung ein, trug er damit ja in absehbarer Zeit eine Sorge weniger um seine Kinder. Seine Frau jedoch, die werdende Schwiegermama, vergoss Tränen, teils aus Kummer, weil nun bald eines ihrer Kinder die Familie verließ, teils aus Stolz, weil ihre Tochter eine so gute Partie machen sollte, und teils aus Freude darüber, dass Amadé sich das Weihnachtsfest als Traudatum wünschte. Wie damals Gott sich in der Geburt seines Sohnes Jesus unverbrüchlich an die Welt und den Menschen band, so wolle er, der Mäuserich, sich durch die Hochzeit an diesem Tag untrennbar mit ihrer Tochter verbinden, gelobte Amadé.

Während der Zeit ihrer Verlobung erhielt Dorothée die Erlaubnis der Eltern, den zukünftigen Gatten hin und wieder in der Stadt zu besuchen. Sie sollte sein Heim, das Leben im Kirchenbau, in Pfarrhaus und –garten kennenlernen, das Neue und für sie Ungewohnte prüfen, ob es ihr gefiele, sowie den Weg zwischen Feldrain und Siedlung erproben, damit sie Gefahren rechtzeitig erkenne, sie zu meistern lerne und so der Kontakt zu ihrer Familie, zwar später nach der Heirat wahrscheinlich seltener werdend, doch deswegen nicht abrisse.

Auf diese Weise war der Advent diesmal nicht nur die Vorbereitungszeit der Menschen auf die Geburt Jesu Christi, er war ebenso die Vorbereitungszeit der Brautleute, der Eltern Dorothées und ihrer Geschwister, auf die große Hochzeit. Es gab jedoch auch einen Wermutstropfen in der Geschichte für Amadé. Seine Eltern nämlich und die Geschwister des Mäuserichs lebten so weit entfernt, dass es ihnen nicht möglich war, bis zum Beginn der Feierlichkeiten anzureisen. Sie konnten nicht kommen, um an der Hochzeit teilzunehmen.

Dennoch wurde es ein großartiges Fest. Die Mäuse feierten eine ganze Woche lang ab dem Heiligen Abend, an dem sich die beiden das Ja-Wort gaben, bis zum Sylvestertag, der den krönenden Abschluss bildete. So lange dauerte die Feier, und alle Tage speiste man von den Köstlichkeiten, die bei den Menschen in der Weihnachtszeit reichlich abfielen.

Die zwei überglücklichen, verliebten, frohen und dankbaren Mäuse kamen überein, dass ihre Hochzeitsreise ins Hohe Venn gehen sollte, weil es der Landstrich war, dem ihre beiden Familien entstammten. Bei dieser Gelegenheit wollten sie auch Amadés Eltern, die dort lebenden Geschwister und übrigen Familienangehörigen besuchen und sie alle ein Stück an der Freude und dem Glück ihrer Verbindung teilhaben lassen.


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